Anlässlich des Internationalen Tag des Gedenkens an die Opfer des Holocaust

Warum die kommunale Beteiligungsinfrastruktur zu Rechtsruck und Antisemitismus führt

Heute ist der 80. Jahrestag des Internationalen Tag des Gedenkens an die Opfer des Holocausts. Am 27. Januar 1945 wurde das Vernichtungslager Auschwitz von sowjetischen Soldaten befreit. Wir als Stadtschülerrat Dresden gedenken den Millionen unschuldigen Seelen, die dem deutschen Nationalsozialismus zum Opfer fielen. Es ist ein Tag, der uns daran erinnert, dass nur die Bewahrung von Nächstenliebe und eine bedingungslose Solidarität zueinander Fundament für eine Gesellschaft und Welt in Frieden sein kann.

Genau damit wird deutlich, dass besonders in heutiger Zeit das Erinnern seine Bestimmung verliert, wenn nicht auch gleichermaßen Gehandelt wird. Für uns gehört dazu, Dresdner Kindern und Jugendlichen unabhängig von ihrem sozioökonomischen Hintergrund einen Zugang zu demokratischen Beteiligungsformaten auch außerhalb von Schulen zu eröffnen.

Was stellen die Schüler:innen Dresdens fest?

Auch in Dresden ist ein Rechtsruck unter Jugendlichen an Schulen bemerkbar – seien es Hakenkreuze an Stühlen und Wänden, Schüler:innen, die sich offen antisemitisch, homophob und rassistisch äußern (beispielsweise “Ausländer raus!” in den Gängen schreien) oder auch Lehrkräfte, die ihr bestes geben rechtes Gedankengut den Schüler:innen zu vermitteln.

Die Mehrheit der Schüler:innen, mit denen wir als Vorstand in den Austausch treten, erleben außerhalb der Schüler:innenvertretung keine Kinder- oder Jugendpartizipation.

Was stellt der Stadtschülerrat Dresden fest?

Der Rechtsruck an Schulen ist ein deutschlandweites Problem, was vom Bund, den Ländern als auch den Kommunen ergriffen und überwunden werden muss. Lehrpläne müssen zeitgemäß werden, sodass Politische Bildung fächerübergreifend stattfindet und Demokratie auch an Schulen gelebt werden kann. Auch Medienkompetenzen, wie das Einordnen von unsicheren Quellen bleiben unter anderem mit dem kümmerlichen Digitalpackt 2.0 deutschlandweit, aber insbesondere in Sachsen auf der Strecke liegen. Doch Kinder und Jugendliche verbringen nur einen Teil ihres des Tages wie dem heutigen innerhalb der Schule. Auf dem Pausenhof bleibt nicht viel Zeit, um sich auf rechtsextremes Gedankengut einzulassen und es zu teilen. Dies geschieht vor allem in ihrer Freizeit.

Jugendliche in der rechtsextremen Szene

Nein. Es sind nicht immer die Eltern, die Schuld daran sind, einen Neonazi herangezogen zu haben. Es kann genau so gut die Stadt Dresden sein, wenn sie sich weiterhin keine Mühe gibt, wirklich allen Kindern und Jugendlichen einen Zugang zu Beteiligungsformaten außerhalb der Schule und Schüler:innenvertretung zu verschaffen.

Ja. Es gibt Dialogveranstaltungen, Workshops und besonders viele Ehrenamtliche Initiativen und Vereine, die Kindern und Jugendlichen ihr Recht auf Selbstvertretung gewähren. Doch abgesehen davon, dass diese durch den Doppelhaushalt 2025 aktuell gefährdet sind, können sie ebenso nicht alle Dresdner Schüler:innen erreichen – das gilt auch für den Stadtschülerrat Dresden. Wir Veranstalten jährlich, wie auch morgen, einen Schülergipfel mit Schwerpunkt auf Demokratiebildung und Erinnerungskultur, weil es sonnst keiner tut. Wer unsere Demokratie schon in jungen Jahren nicht erleben kann, der wird sie in Zukunft genauso wenig verteidigen und wendet sich von ihr ab.

Welche Schüler:innen sind aus unserer Erfahrung besonders gefährdet?

Egal ob zu demokratiefördernden Veranstaltungen innerhalb der Schüler:innenvertretung oder außerhalb: es fehlen die Schüler:innen mit niedrigem sozioökonomischen Hintergrund, es fehlen die Förderschüler:innen, Oberschüler:innen und es fehlen Schüler*innen, die am Rande Dresdens wohnen. Um zu veranschaulichen, was mit vielen dieser ebendieser in den letzten Jahren passierte, vereinen wir sie in unserem fiktiven Fallbeispiel Finnian.

Fallbeispiel Finnian

Finnian ist ein fünfzehnjähriger Junge aus Dresden-Trachau. Zusammen mit seinen Eltern wohnt er in einem Wohnblock auf der Kalkreuther Straße. In diesem Wohnblock wohnen viele Familien mit benachteiligtem sozioökonomischen Hintergrund. Von seinen Mitschüler*innen wird er häufig als “Kalki” bezeichnet. Dieser Begriff dient der bloßen Herabwürdigung. Den Anschluss an Klassenkameraden zu finden, fiel Finnian schon seit der Grundschule schwer. Finnian hat sich nie gehört gefühlt und war eher unscheinbar, zumindest bis vor einigen Monaten. Seit neustem trifft er sich abends mit Jugendlichen in seinem Alter. Nur durch diese Gruppe wurde sein Interesse an Politik erweckt, nicht etwa durch Schulunterricht oder demokratiefördernden Vereinen. Sie reden viel darüber, dass so viele Menschen nicht von der Politik gehört werden. Finnians Freunde sind rechts. Sie hören sich gegenseitig zu und bestärken sich in ihren Ansichten, dabei kommt der nationalistische Vaterlandsstolz nicht zu kurz. Finnian fühlt sich nun einer “Gemeinschaft” zugehörig, die sich vom Rest unserer Gesellschaft abspaltet. Er wird sich nicht darum bemühen, in den Austausch mit seinen Klassenkameraden, den “Anderen” zu treten. Heute ist Finnian nicht mehr unscheinbar, sondern laut.